Heute ist Wintersonnenwende - genauer gesagt um 16.58 Uhr oder um 16:59 Uhr. Ja was denn nun, wann wird es denn wieder heller. Auf jeden Fall nicht um 17 Uhr, so viel ist sicher.
Was will ich hier mit diesen Zahlen sagen? Ich will, dass er aufhört, dieser Glauben an Erlösung von jetzt auf gleich.
Wenn ich eine Sache in diesem Jahr begriffen habe, dann ist es, dass wir Menschen uns schwer tun mit Geduld und unseren Erwartungen - ich besonders. Mein Leben verlief immer in Zyklen, zumindest bis vor einiger Zeit. Früher geisterte spätestens ab Juni in meinem Kopf das Mantra rum "an Weihnachten ist alles vorbei". Weihnachten, das war für mich immer die Idee von Nachhausekommen, um Geborgenheit in der Familie zu erfahren, Pause zu haben vom Stress des Alltags. Besonders während des Studiums war mein Fernziel jedes Jahr aus Neue, Weihnachten zu erreichen. Anfang November war jeweils der Prüfungszyklus zu Ende und schön langsam ging es dann auf Weihnachten zu. Die letzten Vorlesungen waren einige Tage vorher und dann hieß es: Kofferpacken, Plätzchen und Geschenke fertig machen und alles hinter sich zu lassen. Und dann war Weihnachten. Kirche, Familie, Freunde, alle in Hochstimmung. Aber nicht alle Weihnachtsfeste waren harmoni
sch, wie in jeder Familie wohl, dann hatte mein Weihnachtstraum Kratzer und ich hoffte auf Silvester, auf ein neues Jahr, auf den Frühling, auf Ostern, den Sommer und wieder auf Weihnachten. In Wirklichkeit änderte sich nichts - nie. Meine Illusion von Frieden und Harmonie hatte an Weihnachten zwar mehr Glitzer, aber sie wurde nie zur dauerhaften Realität. Trotzdem glaubte ich - nicht nur der Werbung und der Kirche - dass es eine besondere heilige Zeit ist, diese Weihnachtszeit.
Aber seien wir doch mal ehrlich. Haben wir nicht in den letzten zwei Jahren gelernt, dass es keine Erlösung gibt? Dass wir halt einfach durchmüssen durch die Wellen. Immer wieder hörten wir vom "dynamischen Geschehen", und wurden von den dagegen zu setzenden Maßnahmen aus unserer Ruhe, unserem durchgetakteten Alltag gerissen. "Dynamisch" bedeutet in der Physik "die von Kräften erzeugte Bewegung betreffend", allgemein versteht man darunter, dass etwas "eine Bewegung, Entwicklung aufweist". Die "Kräfte" haben uns anfangs überrascht, mittlerweile kennen wir sie zu genüge. Sie haben mir nicht nur Weihnachten versaut. Sie haben mich geheilt. Ja, soweit würde ich mittlerweile gehen, zu sagen, dass es ein gewisser Heilungsprozess war, den ich erfahren habe. Ich erwarte nun gar nicht mehr, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt anders wird - oft genug kam es ja anders, aber halt auch anders, als erwartet. Das hat nach einer gewissen Zeit des Trainings bei mir einen Sinneswandel ausgelöst. Dynamisches Geschehen erfordert auch eine Dynamik der Anpassung. Ja, ich habe mich weiterentwickelt und nach anfänglicher Wut darüber, dass ich so aus meiner Ruhe und dem Glauben und Hoffen, gerissen wurde, habe ich mich der Dynamik hingegeben. Geschaut, was, unter welchen Bedingungen möglich ist. Ich habe Menschen gefunden, die offen geblieben sind, Toleranz in alle Richtungen bewiesen haben und selbst in Zeiten schwerer Einbußen, ihre Freundlichkeit nicht verloren haben. Mit ihnen zusammen und von ihnen durfte ich lernen, dass das Warten auf Erlösung uns viel zu sehr davon abhält, heute aktiv zu werden und gute Dinge auf den Weg zu bringen.
Warum erzähle ich das alles? Weil ich der Meinung bin, dass wir viel zu sehr fixiert sind auf Zeitpunkte. Und wenn ich heute lese, dass es ab 16:58 Uhr oder 59 - je nach Quelle - wieder heller werde, dann hat da jemand nicht verstanden, dass es erst einmal gar nicht heller wird, dass es erst einmal dunkel bleiben wird, nicht nur weil es um 17 Uhr sowieso dunkel wird. Nein, 2-3 Tage bleibt die Tageslänge etwa gleich, die übrigens unterschiedlich lang ist - in Berlin sind es 7 Stunden und 39 Minuten und hier 8 Stunden und 16 Minuten. Und wenn man überlegt, was wir wahrnehmen können, also nicht die Sekunden zählt, dann spüren wir erst in 1-2 Wochen etwa, dass es wieder aufwärts geht. Dynamik kann uns halt auch ganz schön langsam erscheinen. Dennoch, dass es passiert, dass die Tageslänge wieder ganz langsam zunimmt, das ist sicher.
Das ist eine Erfahrung, die schon unsere ältesten Vorfahren gemacht haben: Nichts bleibt wie es ist, alles ist in Bewegung. Und für sie muss diese Zeit im Winter wirklich unwirtlich gewesen sein. Das heißt nun nicht, dass wir die Feste nicht feiern sollen und dafür muss keine Zeitpunkte benennen sollen. Aber vielleicht können wir es "dynamischer" angehen und lieber unsere Trägheit im Kopf überwinden. Wenn wir uns ein bisschen mehr mit der Welle treiben lassen, kommen wir vielleicht weiter, als wenn wir all unsere Kraft aufwenden, um gegen den Strom zu schwimmen.
Wir brauchen uns nicht ganz so wichtig zu nehmen, egal wie klein ein Licht ist, man muss es nicht künstlich vergrößern, damit es Großes leisten kann - auch kleine Lichter können hell scheinen. Also feiern wir - jeden Tag - heute die Wintersonnenwende, am 24. Weihnachten, Silvester - so wie es halt gerade möglich ist. Und wir wissen ja alle: Die Feste, von denen man sich nichts erwartet, werden meistens die besten. In diesem Sinne: Happy Winter Solstice 2021!
Und hier im Interview gibt es noch die ultimativen Tipps für ein gesundes Weihnachtsfest.
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