Samstag, Mai 19, 2018

Bocksbärte - Habermark, Yemlik und Salsifis


Heute geht es hier um Wurzeln. Und eine Geschichte gibt es auch dazu:

Diese habe ich ursprünglich für das Wildpflanzen-Magazin geschrieben und sie ist im Mai dort erschienen:

Die Pflanzenwelt ist wunderbar und egal, wie alt ich werde, ich werde es in diesem Leben nicht schaffen, all ihre Geheimnisse zu ergründen, nicht mal für einen kleinen Prozentsatz wird es ausreichen. Neben allerhand Neuem, was ich in diesem Frühjahr in der Pflanzenwelt entdecken durfte, war es eine Pflanze, die mir nun schon mehrmals, sogar in verschiedenen Arten über den Weg gelaufen war, die sich aber jetzt erst wirklich mit all ihren nutzbaren Teilen in mein Bewusstsein gedrängt hat. Hartnäckig und nachhaltig: Tragopogon – der Bocksbart.

Angefangen hat alles damit, dass ich im Frühjahr 2017 im Süden Frankreichs im Gemüseangebot eines Biomarktes Wurzeln entdeckt habe, zu dem mir niemand dort wirklich erklären konnte, um was es sich dabei handelte.





Nur wenige Tage später traf ich zuhause in Sindelfingen auf jemanden, der wie ich auf der Wiese Kräuter sammelte, allerdings nur einen Büschel Grasartiges in der Hand hielt. Ich fragte nach und tatsächlich, er sammelte kein Hasenfutter, sondern Kräuter, die in Salzwasser getunkt, wie in Südosteuropa häufig üblich, verzehrt werden sollten. Ich besah die Ernte aus der Nähe, und schnell war klar, es waren die jungen Triebe vom Wiesen-Bocksbart (Tragopogon pratensis). Ja, die kannte ich und eine Kostprobe davon, ließ sie mir als äußerst schmackhaft erscheinen, ganz ähnlich aber weniger süß als der Geschmack der Blüte, die ich schon öfter gegessen und verwendet hatte. "Yemlik", ergab meine Recherche, heißt das Wildgemüse in der Türkei, es wird dort roh oder gekocht verwendet, Wurzeln und junge Triebe.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer nur die Blüten verwendet, zum Beispiel für Saft, siehe Rezept unten. So auch im Juni 2017 beim Detox, Baby!-Seminar in den Bergen Tirols, als wir Ersatz für Löwenzahnblüten, die dort schon verblüht waren, gebraucht haben. Jede Menge der großen gelben Wiesen-Bocksbart-Blüten gab es dort, die wir stattdessen gut nutzen konnten. Wieder war es diese Pflanze, die sich so aufdrängte und sich in meine Rezepte einmischte und anfing sie zu verändern.

Der Sommer ging vorbei und wie üblich verschwanden die großen gelben Blüten schon frühzeitig wieder von der Bildfläche. (Sehen werden wir sie voraussichtlich noch auf der Exkursion in Aidlingen am 25.05.2018 - mehr dazu auf www.christine-volm.de unter Seminare)

Über den Winter nutze ich gerne die Zeit, um mich mit ungeklärten Wildpflanzen-Fällen zu beschäftigen – der Wiesen-Bocksbart gehörte nicht dazu, weil ich den Fall ja schon für geklärt hielt. Bis zu dem Abend, an dem meine Mutter, die als Gärtnerin nicht unbedingt eine Freundin des Wildpflanzenverzehrs ist, mir erzählte, sie hätten als Kinder in der Nachkriegszeit auch auf den Wiesen gesammelt, unter anderem "Habermarken". Grasähnliche Triebe sollten es gewesen sein und ein schwäbisches Sprüchle gab es auch dazu: "Habermark macht d'Buaba stark." Mir fiel meine Begegnung im Frühjahr auf der Wiese mit "Yemlik" wieder ein und ich begann unter dem Stichwort "Habermark" im Internet zu recherchieren. Ganz klar, die Blütenbilder waren eindeutig: Habermark = Wiesen-Bocksbart = Yemlik.



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Aber es gab noch ein zweites Ergebnis: Im Alemannischen (Ursprung des schwäbischen Dialekts) wurde auch Tragopogon porrifolius als Habermark bezeichnet. Der aktuell korrekte deutsche Name hierfür ist "Haferwurzel". Und an diesem Punkt kam mir auch die Wurzel aus dem Süden Frankreichs wieder in den Sinn, denn die purpurlilanen Blüten hatte ich dort schon auf den Wiesen gesehen und ihre Ähnlichkeit im Aufbau zu unserem Wiesen-Bocksbart war mir damals aufgefallen.

Die Haferwurzel (Tragopogon porrifolius) war auch bei uns einst als Wurzelgemüse bekannt, und wurde sogar angebaut. In Frankreich hat sie ihren Weg schon wieder zurück auf die Teller gefunden, als Wurzel, deren Geschmack Kulinarikern zufolge an Austern erinnern soll, daher auch der im englischen Sprachraum gebräuchliche Name "Gemüseauster". Mich hat der Geschmack der rohen Wurzeln eher an sehr junge Artischocken erinnert, fein und leicht nussig. "Salsifis" wird sie in Frankreich genannt und als "Salsifis des prés" wird der Wiesen-Bocksbart (Tragopogon pratensis) bezeichnet.

hinten rechts: Salsifis

Außerdem habe ich herausgefunden, dass auch "Yemlik" als Name nicht nur für den bei uns heimischen Wiesen-Bocksbart, sondern auch für die Haferwurzel genutzt wird, ähnlich wie in Frankreich scheinen die Triebe von beiden Arten unter diesem Namen verwendet zu werden. Die Triebe der Haferwurzel erinnern in ihrem Aussehen, noch mehr als beim Wiesen-Bocksbart an jungen Lauch, der Art-Name porrifolius heißt in der Übersetzung auch "lauchblättrig". So müsste die Haferwurzel eigentlich "Lauchblättriger Bocksbart" heißen, aber wer schon einmal Hafertriebe genau betrachtet hat, kann den Namen Haferwurzel sicher auch nachvollziehen.

In der Türkei scheinen beide Arten vorzukommen, je nachdem wie das Klima einer Region ist, kommt wahrscheinlich die eine oder andere Art häufiger vor (die Haferwurzel mag es wärmer als der Wiesen-Bocksbart), und so werden beide Arten ähnlich verwendet: Man bereitet aus den Trieben hauptsächlich frischen Salat zu oder nutzt sie zum Füllen der typischen dünnen Fladen.

Dank der Bocksbärte habe ich im Winter eine kleine kulinarische Europareise gemacht, zumindest mit dem "Finger auf der Landkarte", einiges über fremde Küchen erfahren und auch über altes heimisches Wildgemüse. Und jetzt betrachte ich den Wiesen-Bocksbart mit anderen Augen, sehe nicht mehr nur die schmackhaften Blüten, sondern schätze ihn von der Wurzel bis zur Blüte.



Und morgen gibt es hier noch das Rezept für den Saft.

A propos Saft: es gibt einen Vortrag in Maichingen nächste Woche zu Detox, Baby!

Donnerstag 24.05.2018 19:30 Uhr im Gesundheitshaus imPuls, Maichingen
Alle Infos dazu auf meiner Homepage (Platzreservierung per Mail an info(ät)christine-volm.de)



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