Dienstag, August 28, 2018

Pflanzenphilosophie über Streberblüten und Angeberfrüchte


Gestern in einer Fernsehkochshow: Da nannte der Moderator doch einen Teilnehmer einen Streber. Und zwar deshalb, weil dieser ein Abi mit 1,7 gemacht hat, nicht weil er sich traut mit schlappen 18 Jahren an einem Kochwettbewerb teilzunehmen. Jetzt mag man diese Note gut oder weniger gut finden, ganz egal. In einem Land, in dem Worte wie "Streber" oder "Gutmensch" in abwertender Form verwendet werden, läuft irgendetwas falsch.

Ich kann mich genau daran erinnern, wie ich einmal als Schülerin als Streberin bezeichnet wurde (weil ich einen besseren Aufsatz als die anderen geschrieben hatte). Meine Freundin mit dem schlechtesten Aufsatz wurde von allen getröstet und in den Arm genommen und ich stand alleine da, als jemand, der nicht solidarisch war mit der Allgemeinheit und sich erdreistet hat, eine gute Note zu schreiben.

Das hat mir zu Denken gegeben und meine vermeintliche Solidarität angespornt, ich habe ein schlechteres Abi gemacht, weil ich einfach nur noch in manche Unterrichtsstunden gegangen bin, um zu zeigen, dass ich kein Streber bin. Das habe ich zum Teil bereut, zum Teil aber auch später noch einfach cool gefunden. Heute ist das alles lange her, mein Selbstbewusstsein an erfreulicheren Dingen gewachsen und ich mache mir heute ehrlich gesagt mehr Gedanken um diejenigen Menschen, die andere in abfälliger Weise so bezeichnen, als um die "Streber" selbst.

Und ich kann nur eines sagen: Ihr lieben "Streber", dieses Wort kommt von "streben" und das tut man in der Regel nach etwas Besserem, Höherem. Und das ist gut so. Und ein guter Mensch zu sein ist genau so gut. Für sich selbst und für alle und was die Anderen dazu sagen ist egal.

Warum erzähle ich diese Geschichte? Ich mochte lange auch keine Streberblumen: Rosen, Orchideen, iiiih. Sie, die perfekt waren, schöner größer und glanzvoller erschienen mir nicht solidarisch mit der Pflanzenwelt.

Heute kann ich darüber nur noch lachen. Haha, was man sich so aneignet im Leben und wie lange es dauert bis man es wieder los wird. Heute mag ich alle Blumen und ganz ehrlich: manche unscheinbare Wildpflanze lebt auch einfach nur vom Understatement. Da kann die Blüte wunderschön sein, uns fällt sie nur nicht auf, weil sie viel kleiner ist. Auch hier gilt: Es ist die betrachtende Person, die sich das Urteil bildet.

"Streberblüten" sind aber in all ihrer Pracht wunderschön, das kann niemand verneinen und wer es dennoch tut, hat vielleicht ein ähnliches Problem, wie ich es hatte? Ich habe bei meinem Besuch in der LVG auf jeden Fall welche entdeckt, die ich euch nicht vorenthalten will, weil Sie riesengroß, pompös, ausgefallen und beeindruckend sind: die Blüten von Mava moscheutos, dem Sumpfeibisch. Die Pflanze braucht ein bisschen mehr Betreuung und Schutz in der Winterzeit, aber da es bei uns ja immer wärmer zu werden scheint, ist das wohl nicht mehr das Problem. Und essbar sind die Blüten auch.


Und ich bin auf richtige Angeber gestoßen in der LVG, sie recken ihre Früchte nach oben, bestechen mit Farbe und mit extrem viel Geschmack und Scoville, der übrigens nicht jedem mundet. Weil: Schaaarf! Und wenn wir schon dabei sind: Was heißt hier Angeber? So aufzutrumpfen wie diese Chilisorten, wovon es unzählige gibt in der LVG ist natürlich einfach nur genetisch bedingt (und manchmal auch den Züchtern zu verdanken) - die Pflanzen können es, sie tun es, sie sind großartig (wofür sie selbst nichts können und worüber sie schon gar nicht reflektieren).


Deshalb kann ich dazu nur sagen: Sei wie Du bist, großartig, einzigartig, bunt, schön … Die Pflanzen machen es uns vor und niemand kann es in Frage stellen.



An diesem sonnigen wunderschönen Herbsttag ist es einfach Zeit zu leuchten! Wie diese wunderschönen Tagetesblüten, die hier im Schwäbischen übrigens "Stinkende Hoffart" heißt statt Studentenblume. Gut ihr Duft mag nicht jedem munden, aber ganz ehrlich, letztendlich beschimpft dieser Ausdruck eine Pflanze, und zwar als hochmütig, stolz, prachtvoll, übermütig und eben stinkend. Wie peinlich ist das denn?


Vergessen wir am besten all das Getue und die Eitelkeiten mancher Menschen, die sie sogar Pflanzen gegenüber zum Ausdruck bringen müssen. Ich liebe diese wunderschönen Kugeln auf stolzen Stielen mit ihrem Duft und es kann mir heute gar nicht üppig genug sein. So und jetzt gehe ich raus mit der Haltung einer Tagetes, der Schönheit einer Sumpfeibischblüte und der Schärfe einer Chili - und ich kann Dir nur empfehlen, das auch zu tun, es fühlt sich nämlich richtig gut an.


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